11.11.2014

Techno-Marusha und Politik-Angela

Techno goes
Leistungsgesellschaft & Kanzlerin – aus einem Interview in der „Welt“
(Hervorhebungen BS):

„Die Welt: Ist
die Kanzlerin cool?Marusha: Sie ist kontrolliert. Dass sie sich nie bei Popkonzerten zeigt
wie andere Politiker, finde ich super. Dafür
lässt sie beim Fußball ihren Gefühlen freien Lauf und zeigt der Welt, dass die
Deutschen sich auch mal gehen lassen können.Die Welt: War
das nicht schon die Botschaft der Techno-Bewegung?Marusha: Sicher. Aber vor allem zählte da nicht, wo du herkamst und wer
du warst, sondern, was du gemacht hast.
Deine Leistung und dein Produkt. Es ging um ein freies und humanes Leben.
Um es mit Goethe zu sagen, meinem Lieblingsschriftsteller: ‚Wo Leben sich des
Lebens freut/ Dann ist Vergangenheit beständig/ Das Künftige voraus lebendig/
Der Augenblick ist Ewigkeit.’“

01.11.2014

Rußlands Kampfjets & Westliche Rüstungskonzerne

"...außerhalb des Hoheitsgebietes der Nato drehen russische Kampfjets ihre Runden - und die Nato versetzt uns in emotionale Alarmbereitschaft. Zeitgleich buhlen ein US-Rüstungskonzern und die Airbus Group um einen Milliardenauftrag der Bundeswehr für ein neues Luftabwehrsystem, das Kampfjets vom Himmel holen soll. Es gibt Zufälle, die sind so zufällig, das sie auffällig sind."(Gabor Steingart, Handelsblatt Morning Briefing, 31.10.2014)

01.11.2014

Rock am Ring vs. Grüne Hölle

Wenn das Vereinsblättchen der deutschen Musikindustrie behauptet, etwas
sei „ein Thema, das die Branche weiter in
Atem hält“, kann man sicher sein, daß in Sechuan gerade ein Sack Reis
umgefallen ist. Sie ahnen es - die Rede ist vom „Festivalkrieg“, den sich nach
hiesiger Narration Marek Lieberberg und Ossy Hoppe um „Rock am Ring“ und das
ganze Drumherum liefern. Ich kenne ehrlich gesagt niemanden in der „Branche“,
der deswegen den Atem anhalten oder dem Ganzen sonstwie eine besondere
Bedeutung beimessen würde (mal jenseits der Tatsache, über die bisher gar nicht
berichtet wird, nämlich, daß die schwelende Auseinandersetzung um die eventuell
zwei Festivals dazu führt, daß etliche Festivals und Konzertreihen auf
mittlerem und kleinerem Niveau nach wie vor ohne Bestätigung ihrer Headliner
dastehen, weil die meisten Bands immer noch hoffen, von den fetten Gagen der
sich überbietenden Großfestivals etwas abzubekommen...). Denn es geht hier natürlich
einfach nur um wirtschaftliche Interessen, um Profit. „It’s the economy,
stupid!“Die CTS Eventim AG, der drittgrößte Konzertveranstalter der Welt und der
zweitgrößte Ticketingkonzern der Welt, hält 100% an Marek Lieberbergs Konzertagentur.
Der CTS Eventim-Konzern verkauft nicht nur geschätzte 80% aller Pop- und
Rock-Tickets hierzulande (und kann als Quasi-Monopolist die beträchtlichen
Zusatzgebühren, die die Tickets für die Fans so teuer machen, ungehemmt
diktieren), sondern ist auch an geschätzt 16 der 20 größten deutschen Festivals
beteiligt oder veranstaltet sie via seiner Tochterfirmen komplett selber. Ein
einträgliches Geschäft.Die DEAG (Deutsche Entertainment AG) ist ein anderer Großkonzern im
Konzertgeschäft, hauptsächlich im sogenannten „Family Entertainment“ und in der
„populären“ Klassik (von Lang Lang bis David Garrett) zugange (Geiger Garrett
hält laut Wikipedia übrigens 3% der DEAG-Aktien) und versucht nun, ins
profitträchtige Rock-Festivalgeschäft einzusteigen und auf dem Nürburgring ein
Nachfolgefestival zu Marek Lieberbergs legendärem „Rock am Ring“ (das dieser
unter diesem Namen andernorts weiterbetreiben wird) sowie dem Vernehmen nach in
München ein Großfestival auf die Beine zu stellen. Bisher (Stand 28.10.2014)
erfolglos. Während Lieberberg, der größte und bedeutendste deutsche
Konzertveranstalter, längst mit seinen Zwillingsfestivals „Rock am Ring“ und
„Rock im Park“ und einem gewohnt starken Line-Up im Vorverkauf ist, hört man von
der „Grünen Hölle“ der DEAG – nichts. Außer starken Worten ihres
Vorstandsvorsitzenden Schwenkow im Interview mit dem Vereinsblättchen der
deutschen Musikindustrie, denen bisher aber keine Taten folgen. Kein Wunder –
die attraktivsten Headliner sind längst vom Markt und spielen bei Lieberbergs
Festival, neben den einschlägigen deutschen Großbands u.a. auch der vermutlich
heißeste internationale Headliner der Festivalsaison 2015, die Foo Fighters
(das traditionsreiche belgische Rock Werchter-Festival hat sogar das erste Mal
in seiner über 30jährigen Geschichte seinen Termin kurzfristig vorverlegt, um
die Foo Fighters präsentieren zu können... die Künstler haben eben die Macht!).
Könnte sein, daß die DEAG und ihr Vasall es noch bereuen werden, die
Finanzschwierigkeiten bei Capricorn nicht zum ehrenhaften Ausstieg aus ihrem
Nürburgring-Projekt genutzt zu haben. Denn die letzten Wochen war den Medien zu
entnehmen, daß der Käufer des Nürburgrings, der Düsseldorfer Autozulieferer
Capricorn, wirtschaftlich ins Schlingern geraten sein soll und den Kauf des
Nürburgrings wohl „nur mit Mühe
bewältigen kann“ („Rhein-Zeitung“). Und das Verkaufsverfahren des
Skandalprojekts der SPD-geführten Landesregierung soll auch nicht ganz astrein
verlaufen sein – der Verkauf ist jedenfalls noch lange nicht rechtsgültig,
einige unterlegene Bieter planen laut „Rhein-Zeitung“, das Verkaufsverfahren
vor der „europäischen Gerichtsbarkeit
anzufechten“. Ein echter Wirtschaftskrimi also, in dem man viel über
deutsche Politik, Großkonzerne und das zahnlose deutsche Kartellrecht lernen
kann. Das, was das Vereinsblättchen der deutschen Musikindustrie darüber
berichtet, etwa die Auseinandersetzung um die Namensrechte (die natürlich, so
wie es die Gerichte auch entschieden haben, dem zugefallen sind, der die Arbeit
gemacht und das Festival seit Jahrzehnten erfolgreich betrieben hat, und nicht
demjenigen, der bloß das Gelände gekauft hat) ist allerdings eben nur, daß in
Sechuan... na, Sie wissen schon.

01.11.2014

CTS-Schulenberg kriminell?

Wenn Sie sich fragen, wie man in 17 Jahren zum Dollar-Milliardär werden
kann wie der Vorstandsvorsitzende der CTS Eventim AG, Klaus-Peter Schulenberg,
der 1996 CTS kaufte und 2013 von Forbes als einer der nur 1.426
„Dollar-Milliardäre“ dieser Welt geführt wurde, und wenn Sie vermuten, dabei
könne eventuell nicht alles mit rechten Dingen... nun ja.Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt jedenfalls bereits seit Jahren
gegen den Vorstandsvorsitzen des CTS Eventim-Konzerns. „Klaus Peter Schulenberg, Vorstandsvorsitzenden
von CTS Eventim, sowie der ehemalige DFB-Manager Willi Behr sollen im Vorfeld
der Fußball-WM 2006 52.000 Tickets auf dem Schwarzmarkt platziert und sich
selbst auf diesem Wege mit Millionenbeträgen bereichert haben“, faßt der „Musikmarkt“ einen Bericht
der „Welt am Sonntag“ zusammen. Laut neuen Informationen und Unterlagen, die
der „Welt am Sonntag“ vorliegen, soll „Schulenberg den damaligen Ticketchef für die Fußball-WM, Behr,
bestochen“ haben. „Dieser sollte sich
im Organisationsteam dafür einsetzen, daß CTS Eventim den Zuschlag für den
Vertrieb der drei Millionen Eintrittskarten im Wert von rund 270 Millionen Euro
erhält. Wie die Zeitung berichte, deute allerdings einiges darauf hin, dass
Behr das CTS-Eventim-Angebot für die Ausschreibung zuvor sogar selbst
formuliert hatte. Eventim habe daraufhin im Sommer 2004 den Zuschlag erhalten“,
berichtet der „Musikmarkt“. Das ist der Teil des miesen Geschäfts, über den
bereits seit Jahren gesprochen wird.Hinzu kommt aber ein neuer Vorwurf, der sich aus den Unterlagen, die der
„Welt am Sonntag“ vorliegen, ergibt und der, wenn er sich als wahr
herausstellen sollte, eine ungeheure Dreistigkeit darstellen würde: Es geht um
den Wiederverkauf von WM-Tickets. „So
soll Behr zum Dank für seine Dienste von CTS Eventim ein 500.000-Euro-Darlehen
zu günstigen Konditionen erhalten haben – ohne Zinsen, Sicherheiten und
geregelte Rückzahlungsverpflichtung. Die E-Mails lassen vermuten, dass schon
Geld floss, bevor Behr den Darlehensvertrag überhaupt unterzeichnet hatte. Im
Gegenzug habe Behr CTS Eventim Zugriff auf 52.000 unverkaufte Tickets
verschafft, die ursprünglich für Verbände und Sponsoren vorgesehen waren und in
den normalen Verkauf hätten kommen müssen (...) Die 52.000 WM-Tickets seien
dann über die Firma Firma O&P Event Marketing aus München mit 329 Prozent
Aufschlag an Schwarzmarktfirmen verkauft worden. Die O&P verkaufte die
Karten mit einem durchschnittlichen Aufschlag von 329 Prozent weiter und
erzielte dabei einen Gewinn von zwölf Millionen Euro. Dieser soll teilweise
über Schein-Beraterverträge zurück an den Bremer Unternehmer und einen Partner
geflossen sein. Wie die Zeitung weiter schreibt, verblieb den Ermittlern
zufolge ein Betrag von drei Millionen Euro bei O&P. Sie vermuten, dass
damit ein weiterer hochrangiger WM-Organisator geschmiert werden sollte. Bei
O&P habe die Ehefrau des Steuerberaters von Schulenberg die Geschäfte
geführt. Laut Informationen des Handelsregisters ist die Geschäftsführerin von
O&P zugleich auch Geschäftsführerin der Callcenter TCS Telecall Service
GmbH, das zugleich auch als Dienstleister für CTS Eventim tätig gewesen sein
soll.“ („Musikmarkt“)„Der fiese
Schatten über dem Sommermärchen“ titelt die „Welt“. Der DFB-Manager und der Chef des CTS
Eventim-Konzerns sollen also „52.000
Karten der Fußball-WM 2006 auf dem Schwarzmarkt verschoben haben“. Die
Staatsanwlatschaft ermittelt gegen Schulenberg wegen „Bestechung und Bestechlichkeit in einem schweren Fall. Darauf stehen
bis zu fünf Jahre Haft.“ („Die Welt“). Dagegen nimmt sich die Causa Hoeneß
geradezu als Lappalie aus.Das Ticketingbusiness ist eben ein sehr schmutziges Geschäft. Und warum
zahlen Sie all die skandalösen Zusatzgebühren, wenn Sie Konzertkarten beim CTS
Eventim-Konzern kaufen? Etwa die sogenannte „Ticketdirect“-Gebühr, die Sie an
CTS Eventim dafür abführen müssen, daß Sie sich Ihr Ticket zuhause an Ihrem
Computer und mit Ihrem Drucker und dem Toner, den Sie selbst bezahlt haben,
selbst ausdrucken? Ich würde sagen, man kann nach den neuesten Enthüllungen um
die dubiosen Geschäfte des CTS Eventim-Chefs behaupten, daß die
„Ticketdirect“-Gebühr eine Art Crowdfunding-Kampagne des CTS Eventim-Konzerns
ist, um die zu erwartenden Prozeßkosten und die Staranwälte zu finanzieren, die
ihren Konzernchef aus diesen Problemen herausboxen sollen...

01.11.2014

China & Touristengesetz

In
China hat die Regierung laut „FAZ“ ein neues Gesetz erlassen, wonach Chinesen
auf Auslandsreisen „die Normen des zivilisierten touristischen Verhaltens“ zu
befolgen haben. Zugegeben, dazu gibt es eine etwas merkwürdige Kampagne mit
Fernsehspots, auf denen das chinesische Symboltier, der Panda, sich in Sydney
als rüpelhafter Problembär entpuppt. Am Ende des Spots der Ratschlag an die
chinesischen Touristen: „Die ganze Welt schaut zu. Sei ein guter Tourist!“An der
Kampagne kann man sicher noch feilen, aber das Gesetz an sich würde man sich
doch in Deutschland auch wünschen. Es gäbe einen Grund weniger, sich das
merkwürdige Wort “Fremdschämen“ merken zu müssen...

01.11.2014

Neil Young & Howard Stern

Neil Young bei Howard Stern: Eine
faszinierende Lektion in Haltung. Es geht um Musik, nicht ums Geschäft. "I'm working for the music".
Neil Young erklärt, wie es kam, daß sein
Woodstock-Auftritt nicht im Film ist (er hat den Kameramann, der auf der Bühne gestört hat, angeschrieen und quasi von
der Bühne geschmissen), warum Buffalo Springfield nicht in der
"Tonight" Fernsehshow auftraten ("it
wasn't our audience" - kann sich heutzutage, in Zeiten der gnadenlosen
Selbstvermarktung, noch jemand vorstellen, daß sich eine Band einer großen
TV-Show verweigern würde, weil dort das falsche Publikum sitzt?!?), oder warum
es niemals eine Reunion von CSN&Y geben wird (weil es keinen Sinn macht,
bloß wegen des Geldes alte Hits zu spielen). So geht Kunst. Neil Young "walks
like a giant". Das Anhören der guten Stunde bei Howard Stern ersetzt
mindestens ein Semester Kulturmanagement an hiesigen Hochschulen...Wenn man Wörter wie
„Integrität“ oder „Haltung“ googelt, sollten Bilder und Musik von Neil Young
erscheinen.

01.11.2014

Karl Marx & Chemnitz

In Karl-Marx-Stadt-heißt-jetzt-Twix, also in Chemnitz, steht die laut
Wikipedia zweitgrößte Porträtbüste der Welt – im Stadtzentrum befindet sich
eine (mit Sockel) über 13 Meter hohe Plastik des Kopfes von Karl Marx. Im Juni
diesen Jahres haben Leute unter den Marx-Kopf ein deutsches
Fußballnationalmannschafts-Trikot mit den schwarz-rot-goldenen Bruststreifen
und der Marx-Büste auf die Backen die drei schwarz-rot-goldenen Streifen gemalt
– sie fanden das wohl lustig und dachten, wenn wir uns schon zum Deppen machen
und wochenlang so rumlaufen, soll der olle Marx nicht abseits stehen. Drüber
hing ein Plakat an dem Gerüst des Wohnhauses: „Fußballfans aller Länder, wir
grüßen euch!“Als ich dieser Tage auf Lesereise in Chemnitz war (Klasse Publikum dort,
übrigens!) und am nächsten Vormittag eine kleine Stadtbesichtigung unternahm,
fand ich das Karl Marx-Denkmal in diesem Zustand vor:
Dazu dürfen Sie sich trostlosen Spaß-Techno vorstellen, der aus den
Boxen des Fahrzeugs dröhnte. Die österreichische braune Brause ist
allgegenwärtig und macht vor nichts halt.Karl Marx Red Bull Chemnitz...

01.11.2014

25 Jahre Mauerfall

Und was
sagen wir zum 25jährigen Jubiläum des „Mauerfalls“?Der
Universal-Konzern jubelt jedenfalls: „Mauerfall
– Das legendäre Konzert für Berlin 1989 feat. Udo Lindenberg, Nina Hagen,
Silly, BAP, Joe Cocker, H.R. Kunze, Pankow (...) Nach 25 Jahren erstmals als
Album!“Es
bleibt einem wirklich nichts erspart. Aber sehen Sie, da haben Sie die
kulturelle Realität des Mauerfalls in einer Nußschale: Denn es wurden ja nicht
sagen wir Hanns Eisler und Kraftwerk vereint (gar unter einer neuen Hymne, wie
etwa der Kinderhymne Brechts – „Anmut sparet nicht noch Mühe / Leidenschaft
nicht noch Verstand / Daß ein gutes Deutschland blühe / Wie ein andres gutes
Land. (...) Und nicht über und nicht unter / Andern Völkern wolln wir
sein“...). Nein, vereint haben sich eben die eher dumpfen Teile der beiden
Deutschländer.Lassen
Sie uns also am 9.November die Festveranstaltungen und all das mediale
Konsens-Blahblah ignorieren und stattdessen die schöne Eislersche Melodie vor
uns hin summen, der Opfer des Nationalsozialismus gedenken und der Tatsache,
daß an einem 9.November vor fast einem Jahrhundert in Deutschland nach einer Revolution immerhin ja auch
schon mal die Republik ausgerufen, also ein ganz anderes Liedchen angestimmt wurde...

01.11.2014

Krieg & Karl Kraus

„Krieg ist zuerst die Hoffnung, daß es einem besser
gehen wird, hierauf die Erwartung, daß es dem andern schlechter gehen wird,
dann die Genugtuung, daß es dem andern auch nicht besser geht, und hernach die
Überraschung, daß es beiden schlechter geht.“(Karl Kraus)

01.11.2014

Mädchen gehen zur IS

Um nochmal auf die bürgerlichen Qualitätsjournalisten zurückzukommen –
was sie derzeit ja auch gerne treiben: sie schreiben Reportagen über einzelne
junge Menschen, die nach Syrien reisen und sich dem IS anschließen. Wie die
„Süddeutsche Zeitung“ über zwei Wiener Teenagerinnen, die im April nach Syrien
reisten und sich dem IS anschlossen.Mal jenseits dessen, daß ich mich frage, wie diese Reportagen entstehen,
also ob a) die Zeitungen tatsächlich die jungen Menschen in Syrien aufsuchen
(wohl eher nicht), und b) ob die jungen Menschen dann tatsächlich mit den
Reportern sprechen würden (wohl eher nicht), und c) ob die IS derartige
Gespräche von Neu-Islamisten mit Reportern der bürgerlichen abendländischen
Presse überhaupt zulassen würden (wohl eher erst recht nicht) – und wenn man
diese drei kleinen Fragen beantwortet hat, denkt man sich, es wird halt so sein
wie im topseriösen Blödzeitungsjournalismus – man lungert ein bißchen bei
Verwandten und Freunden herum, schreibt deren Äußerungen ins Notizbuch und
bläht das alles mit eigenen Empfindungen auf. Heraus kommen dann Sätze wie in
dem der „Süddeutschen Zeitung“, die ein Franz Josef Wagner nicht besser hätte
schreiben können: „Meisterinnen der sozialen Netzwerke. Sie
rennen aus ihren Schulen, werfen ihre kurzen Röcke weg und schicken Selfies,
auf denen nichts zu erkennen ist hinter schwarzem Tuch. Früher tänzelten sie
durch die Favoritenstraße, jetzt sind sie in einer Welt, in der selbst die Hinterteile der weiblichen Schafe auf
den Märkten verdeckt werden müssen.“ („SZ“) Oder, auf „SPON“, über eine
junge Französin, die nach Aleppo abgehauen ist: „Dabei sei sie früher ein ganz normales, fleißiges Mädchen gewesen und
habe sich für Disney-Filme interessiert.“Aber jenseits all dessen, und ich bitte, nochmal ansetzen zu dürfen:
Eine Frage, die man sich ja stellen könnte und die zu beantworten spannend
wäre, ist doch die, warum sich junge
Menschen, die jahre- bzw. meist jahrzehntelang in unserer ach so tollen
abendländischen Demokratie aufwachsen, ganz offensichtlich mit deren
politischen, kulturellen und vielleicht auch sozialen Angeboten so wenig
anzufangen wissen, daß sie sich lieber einer islamistischen und de facto
faschistischen Organisation anschließen. Vielleicht sind die Gründe ähnlich wie
bei den vielen Menschen, die an den Wahlen nicht mehr teilnehmen, also der
Nichtwähler (und jetzt mögen bitte keine Sozialdemokraten ums Eck geschossen
kommen und versuchen, die jungen Islamisten mit Bonuspunkten und Rabattmarken
von Supermärkten in die Demokratie einzuwerben, wie sie es bezüglich der
Nichtwähler vorgeschlagen haben...). Daß die Narration von Teilhabe, Kultur und
Zivilgesellschaft für viele Menschen in der neoliberalen Postdemokratie einfach
nicht mehr funktioniert. Daß der Neoliberalismus, der „uns in einen Zustand permanenter Angst befördert hat“ (Mark
Fisher), eben das Gegenteil der „Freiheit“ ist, die sie uns immer noch
verkaufen, die aber nur die Freiheit zu grenzenlosem, angestrengtem Konsumismus
in einer „marktgerechten Demokratie“ (Angela Merkel) ist. Und in einer Welt der
Ego-Maschinen und Selbst-Kuratierer gibt es eben einen gewissen, dramatisch
steigenden Prozentsatz von Menschen, die sich gemeinsam in eine „Mikrogemeinde“
zurückziehen, wie Georg Seeßlen bei anderer Gelegenheit schreibt. Eine
Mikrogemeinde auch als Parallelwelt wie bei dem französischen Teenager-Mädchen,
das eben nicht nur „ganz normal und fleißig“ ist und (oder weil es)
Disney-Filme schaut, sondern das ein Doppelleben geführt hat: „Erst nach ihrem Verschwinden habe die Familie ein zweites Handy, einen
zweiten Facebook-Account und islamische Kleidungsstücke entdeckt.“ (SPON).Daß diese Mikrogemeinde, in die die Teenager (und
es scheinen Hunderte zu sein) abgetaucht sind, ausgerechnet islamistisch und
reaktionär ist, ist ausgesprochen tragisch. Wie die bürgerlichen Medien darüber
berichten, ist traurig und haben die Teenager so nicht verdient.

01.11.2014

Nordkoreas Kim, der Weihnachtsmann

Was dem Feuilletonisten das frühherbstliche Weihnachtsgebäck und die
Schokonikoläuse, das ist dem Politikberichterstatter unter den
Qualitätsjournalisten sein Nordkorea. Seit jeher kann man ja die PR-Kampagnen
dieses kleinen Staates nur bewundern – wie einer der kleinsten Staaten der Erde
es schafft, eine so umfangreiche und permanente Berichterstattung zu generieren
– Respekt! Und dabei gibt es ja keine westlichen JournalistInnen in Nordkorea.
Klar, der eine oder die andere machen mal eine kurze, geführte und in allen
wesentlichen Punkten von der Regierung vorgegebene Rundreise (wie ich sie vor
etlichen Jahren unternommen habe, siehe den mehrteiligen Reisebericht in
„Konkret“, auch hier
zu finden, aber die meisten Berichte, die Sie in den Qualitätsmedien
bundesdeutscher Provenienz finden, sind eben reine Spökenkiekerei und entstehen
in Tokio, Beijing oder am heimatlichen Schreibtisch. Ob da Kim Jong Un bei
einer Jubiläumsfeier fehlt, hinkt oder im Panzer sitzt – keiner, der auf „SPON“,
„FAZ“ oder „SZ“ darüber schreibt, weiß irgendetwas, sondern entnimmt seine
Informationen aus dem staatlichen Fernsehen Pjöngjangs oder den Berichten
südkoreanischer Quellen (die es wiederum aus dem Fernsehen Pjöngjangs usw.
usf.).Kim Jong Un ist gewissermaßen der Weihnachtsmann des deutschen
Qualitätsjournalismus.

01.11.2014

Bands, Techies & Kontrollgesellschaften

Drollig, wie die verschiedenen Großkünstler vergangener Zeiten zuletzt
ihre eigenen technischen Kleingärten mit Zäunen einhegen. U2 veröffentlichen
ihr neues Album auf Apples iTunes und zwingen allen iTunes-Nutzern ihre von den
meisten nicht erwünschte Musik als Spam auf. Fast noch bescheuerter wirkt die
Geste der Zerknirschtheit, mit der die irischen Steuerflüchtlinge im Nachhinein
auf Gutwetter bei den Fans machen wollen. Es sei „Größenwahnsinn“ und „Eigen-PR“
gewesen, die zu dieser Aktion geführt habe, so der Band-Chef. Oder war es nicht
doch das liebe Geld? Cui Bono? Dem Vernehmen nach haben U2 knapp 100 Millionen
von Apple kassiert. Bono jedenfalls siehts so: „Wir wurden als Band erstklassig bezahlt.“ Wohl wahr.Mainstream-Kollege Thom Yorke, bekanntlich eingefleischter
Streaming-Gegner, brachte sein neues Soloalbum nicht beim Apfel, sondern sozusagen
bei einer Birne heraus, nämlich exklusiv bei Bittorrent, im Bundle mit
Filesharer-Software. Ähem. War da was?Wann werden die Künstler es endlich lernen, daß das Geheimnis
erfolgreicher Musik-Veröffentlichungen nicht darin besteht, sich für viele
Millionen vor den Karren verschiedener Technik-Konzerne spannen zu lassen,
sondern die Musik einfach zeitgleich auf allen verfügbaren Kanälen zu
veröffentlichen? Diejenigen, die diese Musik hören wollen, wollen weder U2-Spam
in ihren iTunes-Ordnern, noch dazu gezwungen werden, Software auf ihren Rechner
zu installieren, um Thom Yorke zu hören. Die Freiheit besteht darin, daß die
Fans, die „User“ selbst bestimmen können, wie und wann (und ob...) sie die
Musik der Künstler hören wollen. Ob als Download, Stream, als Vinyl oder, wie
in der digitalen Steinzeitrepublik Deutschland immer noch mehr Menschen als
andernorts, als CD. Der Deal ist: Der Künstler macht die Musik. Der Fan
entscheidet, wie er sie hört. Die Zeiten der Disziplinargesellschaft, in der
die Fans vorgeschrieben bekommen, wie sie Musik zu hören haben, sind
Vergangenheit. Warum sperrt ihr eure Musik hinter Mauern, seien es die von
Apple oder die von Bittorrent? Kommt ins Offene, liebe Musiker, laßt euch aufs
21.Jahrhundert ein! Wenn eure Musik gut und interessant genug ist, wird sie
gehört und bezahlt werden – auf den Kanälen, die nicht ihr, sondern die Fans
bestimmen!

16.10.2014

Gabriel genehmigt Rüstungsexporte u.a. nach Saudi-Arabien

Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) hat erneut Rüstungsexporte in
Milliardenhöhe an umstrittene Drittländer genehmigt. „SPON“ berichtet: „Deutsche Rüstungsfirmen machten im ersten Halbjahr unter
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) beinahe ebenso gute Geschäfte mit
umstrittenen Drittländern wie unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung.
(...) Aus Ministeriumskreisen hieß es, die von den Genehmigungen begünstigten
Länder wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate seien ‚seit
Jahren in der Region für eine gewaltfreie Entwicklung eingetreten’. Auch das
Auswärtige Amt hat nach Informationen des Spiegel in internen Rüstungsrunden
auf die stabilisierende Funktion vor allem von Saudi-Arabien in der
Krisenregion hingewiesen.“„Stabilisierende Funktion“?!? Die Diktatur in
Saudi-Arabien hat bekanntlich direkt und indirekt die IS unterstützt und köpft
seit jeher systematisch Regimegegner: Allein in diesem Jahr hat das
saudi-arabische Regime bereits 59 Menschen enthauptet, doppelt so viele wie die
in barbarischen Videos gezeigten Enthauptungen westlicher Geiseln durch die
IS-Miliz.„Im August
sind die von Riad Verurteilten für Verbrechen wie Apostasie, Ehebruch
und 'Hexerei' hingerichtet
worden. In einem Fall sind vier Mitglieder einer Familie hingerichtet worden,
weil sie 'große Mengen Haschisch in Empfang genommen hatten', ein Urteil, das
laut Amnesty International auf Geständnissen beruhte, die durch Folter erlangt
wurden.“ (Tom Breakwell, „Vice“) Darüber wird natürlich nicht berichtet,
denn Saudi-Arabien ist ja Partner des Westens. Wie Mexiko, weswegen die
grausame Ermordung von etwa 50 demonstrierenden Studenten wahrscheinlich durch
die Polizei nur eine kleine Nachricht auf den hinteren Seiten der Zeitungen
wert ist – vorne muß man ja seitenlang über die Demonstrationen in Hongkong
berichten. „Ein
Land, das Medien hat, braucht keine Zensur.“ (Peter Hacks)

15.10.2014

Xavier Naidoo ist Jesus

Der Weihnachtsmann dieses Blogs, allerdings einer, der längst
schon nicht mehr alle am Christbaum hat, das aktuelle Blog-Faktotum
sozusagen ist derzeit Xavier Naidoo. Unten hatte ich bereits aus einem
Artikel von Georg Diez auf „Spon“ zitiert, wonach sich der
christlich-esoterische Schnulzensänger neuerdings auf den Demos der Neuen
Rechten tummelt.Am Tag der Deutschen Einheit zelebrierte Xavier Naidoo, der in der
offiziellen Bewerbung der Stadt Mannheim für den Titel als „Unesco-Musikstadt“
als „Galionsfigur und Ikone“
Mannheims bezeichnet wird, nun die Union mit ehemaligen NPD-Funktionären,
sogenannten „Reichsdeutschen“ und anderen Reaktionären auf deren Berliner
„Demonstrationen“. Der Mannheimer Schnulzensänger trug, auf YouTube ist es zu
sehen, dabei das sogenannte Sankt-Georgs-Band, „das einstmals vom russischen Zaren an besonders tapfere Soldaten
vergeben wurde und heute in Rußland und der Ukraine als Erkennungszeichen der
prorussischen Separatisten genutzt wird. Wie man der Webseite ‚staatenlos.info’
entnehmen kann, dienen die schwarz-orangen Streifen zugleich als
Erkennungszeichen der ‚Nationalen Befreiungsbewegung Deutschland’“
(„Berliner Zeitung“).Auf einer weiteren „Demonstration“, an der Naidoo am 3.Oktober teilnahm,
trug er, man kann auch das auf YouTube betrachten, ein T-Shirt mit der sinnigen
Aufschrift „Freiheit für Deutschland“; im späteren Verlauf dieser Demonstration
wurden antiamerikanische und antiisraelische Slogans skandiert. Naidoo hat auf
einer ähnlichen „Montagsdemonstration“ im August in Mannheim laut „Berliner
Zeitung“ den „Umstand beklagt, daß ‚Deutschland
immer noch von den Amerikanern besetzt’ und darum ‚kein richtiges Land’ sei;
auch sei die Frage, ob es überhaupt’ eine Verfassung besitzt’.“Naidoo vergleicht
sich in dem Zusammenhang im Übrigen wenn schon nicht mit Gottvater, dann doch
mit dessen Sohn: „Jesus ist auf alle
Menschen zugegangen. Ich möchte ebenfalls auf Menschen zugehen, egal wo sie
sind, egal wo sie herkommen. Ich möchte von Liebe, Frieden, Gerechtigkeit und
meiner Überzeugung sprechen. (...) Ich möchte auf Menschen zugehen. Auch zu
'Reichsbürgern'. Auch auf die NPD. Das ist mir alles wurst.“

15.10.2014

TTIP

Gegen die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP)
zu sein, ist mittlerweile fast schon ein Allgemeinplatz geworden, unter dessen
Banner man es sich auch mit der bürgerlichen Presse oder den
Montagsdemonstranten gemütlich machen kann. Und natürlich ist der TTIP ein
elender und ekelhafter Versuch, „wieder
nennenswertes Wachstum zu generieren, indem man die Politik, die zur Krise
geführt hat, in noch extremerer Form weiterführt“ (Jörn Schulz), und zwar,
wie das im Spätkapitalismus eben üblich ist, mit definitiv undemokratischen
Mitteln. Daß hiesige Kulturschaffende in dieser Angelegenheit entlarvend
systemtreu argumentieren (also gewissermaßen: „wir müssen das bestehende
deutsche respektive europäische System unbedingt erhalten!“ Wirklich? weil es
so toll ist? weil wir uns nichts Besseres mehr vorstellen können?), ist
signifikant und eigentlich nicht weiter erwähnenswert.

Interessant ist da
schon eher, was der Professor für Öffentliches recht und Völkerrecht, Markus
Krajewski, dieser Tage in der „taz“ zu diesem Thema zu erzählen hatte.
Demzufolge nämlich hat ausgerechnet Deutschland den strengen Investorenschutz,
ein Kernstück des geplanten TTIP-Abkommens, 1959 selbst erfunden: „1959 schloss die Bundesregierung erstmals
ein solches Abkommen mit Pakistan. Inzwischen gibt es 130 dieser Verträge mit
anderen Staaten - so viele wie sonst nirgendwo. Nach dem Zweiten Weltkrieg
hatte Deutschland keine militärischen Möglichkeiten, wollte als Handels- und
Exportmacht aber trotzdem seine Wirtschaftsinteressen schützen. Deswegen wählte
man den Weg, dass deutsche Unternehmen das Recht bekamen, vor speziellen Schiedsgerichten
zu klagen, wenn beispielsweise ihr Eigentum in einem Entwicklungsland enteignet
wird und die dortige Justiz nicht verlässlich ist.“
Die schärfsten Kritiker der Elche... na, Sie wissen schon.Und es gilt also wie immer: wenn man etwas, das man für grundfalsch
hält, nicht haben will, dann darf man nicht an paar Symptomen herumdoktorn,
sondern muß es grundsätzlich regeln. Wer nicht möchte, daß US-Konzerne vor
Schiedsgerichten unter Ausschluß der Öffentlichkeit ihre
Schadensersatzmaßnahmen durchsetzen können, wie es das TTIP vorsieht, der
sollte auch gegen die 130 Verträge protestieren, die die Bundesrepublik
Deutschland mit dem nämlichen Inhalt anderen Staaten gegenüber durchgesetzt
hat.

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