Sag mir, wo du stehst!

Es ist eine Weisheit der Sorte "Binsen": Kein Slogan ist zu dämlich, als dass sich nicht ein Sozialdemokrat finden würde, der ihn nachplappert. Nun hat sich Wolfgang Thierse, seines Zeichens nicht nur irgendein SPD-Hinterbänkler, sondern eben auch Bundestagspräsident, zum wiederholten Male der "Quote für deutschsprachige Musik" angenommen - wohl gemerkt, Thierse erweitert die reaktionäre Forderung nach mehr "deutscher" Musik im Radio auf mehr "deutschSPRACHIGE" Musik (womit der aktuelle Nr. 1-Hit aus der Hitküche Stefan Raabs nicht zählen würde): Wenn die Sender nicht freiwillig mehr deutsche Musik spielten, müsse man darüber diskutieren, ob Fernsehen und Hörfunk mit einer Quote dazu gezwungen werden könnten, sagte Thierse im deutschen Auslandssender "Deutsche Welle", und machte sich die Forderung nach einer 40 Prozent-Quote zueigen. Deutsche, hört mehr deutsche Musik!

Diese Forderung ist natürlich nicht nur falsch, sie ist auch unsinnig. Das Problem ist doch nicht, dass zu wenig deutsche Musik im Radio läuft, das Problem ist, dass zu wenig gute Musik zu hören ist. Wem ist denn ernsthaft damit geholfen, wenn die Radiostationen hierzulande noch mehr Bockmist der Marke Pur, Bap, Heinz-Rudolf Kunze oder Mia senden - eine grauenvolle Vorstellung, die nur abgehalfterten sozialdemokratischen Bartträgern Hoffnung machen kann - nicht umsonst hat die Schröder-SPD für die abschließende Wahlkundgebung zur Bundestagswahl in Berlin die fürchterlichen Schmuserocker von Pur das musikalische Beiprogramm spielen lassen (man könnte sagen, dass in etwa auf diesem Niveau seither auch die Politik der wiedergewählten rot-grünen Bundesregierung ist).

Neu an Thierses Forderung ist jedoch die Begründung - Künstler aus Deutschland müssten laut Thierse nämlich größere Chancen bekommen "gegen die Allmacht des amerikanischen Kulturimperialismus". Mit Verlaub, Herr Bundestagspräsident, Sie sind doch ein ganz klein wenig durchgeknallt, oder? Aber wahrscheinlich ist es jetzt an der Zeit, zu "sagen, wo du stehst", um eine Liedzeile ostdeutscher Provenienz aufzugreifen. Und in der Tat, unsereiner steht dann ohne Zweifel auf der Seite von Bands wie Television, Pixies, White Stripes, Lambchop, Calexico, David Byrne, The Strokes, Velvet Underground und wie sie alle heißen. Wenn das "amerikanischer Kulturimperialismus" sein soll - bitteschön! Mehr davon! Ohne diese Musik wäre das deutsche Popradio immer noch voll von reaktionärer, deutschtümelnder Musik. Die würde zwar dem Herrn Thierse und seinen Gesinnungs"genossen" wahrscheinlich gut gefallen, aber mit denen mag ich lieber nicht schunkeln müssen.

Und ansonsten gilt: Politiker, haltet euch aus der Kultur raus! Sorgt dafür, dass Kultur stattfinden kann, fördert sie (wo etwa bleibt hierzulande die flächendeckende Förderung von Zeitkultur, wie sie in Frankreich seit 20 Jahren gang und gäbe ist?), sorgt dafür, dass die soziale Situation der Künstler erträglich ist (es war die SPD Schröders und Thierses, die den Bundeszuschuß der Künstlersozialkasse drastisch zusammengestrichen hat, um nur ein Beispiel realer rot-grüner Kulturpolitik zu geben) - und haltet ansonsten einfach die Klappe. Ist besser so!

© Berthold Seliger, März 2004
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